Das ist Ilyes:
Ilyes ist fünf und hat Tuberöse Sklerose. Auch genannt TSC (Tuberöse Sklerose Complex). Noch nie gehört? Ich bis vor kurzem auch nicht.
Es handelt sich um Gen-Mutationen, die zur Tumorbildung führen. Meist beginnend mit Tumoren am Herzen.
Weitere Symptome dieser seltenen Krankheit sind Hirntumore, Tumore an Niere und Leber und auf der Haut oder Netzhaut der Augen, Veränderung des Lungengewebes, Autismus und Epilepsie.
Wer mehr darüber erfahren möchte kann hier - auf der Seite des TSDEV - nachlesen.
Vor einiger Zeit habe ich Ilyes und seine Mama Nadine im Rahmen meines Projektes „We are family – nur anders“ getroffen. Nadine ist es wichtig, offen und öffentlich über die Krankheit ihres Sohnes aufzuklären.
Die Schwangerschaft und die Geburt von Ilyes verliefen ganz normal. Auch nach der Geburt gab es zuerst keine Auffälligkeiten. Nadine erzählt mir, dass sie eigentlich direkt nach der Entbindung das Krankenhaus wieder verlassen wollte. Aus irgendeinem Grund entschied sie sich aber dafür, drei Tage zu bleiben. Und das war gut so…wie sich herausstellen sollte… Denn am dritten Tag, kurz vor der geplanten Entlassung, wurde Ilyes noch einmal untersucht. Die Kinderärztin stellte Unregelmäßigkeiten am Herzen fest, zog einen Kardiologen hinzu. Dann ging alles recht schnell. Ilyes kam auf die Intensivstation. Per Ultraschall wurden Tumore am Herzen festgestellt und er wurde nach Göttingen in eine Spezialklinik gebracht. Hier sollten die Tumore medikamentös behandelt werden. Außerdem wurden Tumore auf der Haut entdeckt. Ein weiteres Symptom der Krankheit. Es handelt sich um sogenannte White Spots; weiße, unter Schwarzlicht erkennbare Flecken auf der Haut. Nach ca. 2 Wochen in Göttingen sollten Nadine und Ilyes eigentlich entlassen werden.
Kurz vor der geplanten Entlassung stellten die Ärzte jedoch fest, dass einer der Tumore Gefäße bzw. die Herzklappe beeinträchtigt. Ilyes, gerade mal zarte 2 Wochen alt, musste sich einer 8-stündigen Operation unterziehen. Diese verlief gut! Doch es gab eine weitere Hiobsbotschaft: Ein Loch in der Lunge. Glücklicherweise konnte sich dieses mit Medikamenten behandeln lassen. Nach acht Wochen in Göttingen konnten Nadine und Ilyes das Krankenhaus endlich verlassen! Von nun an bekam Ilyes zwar jeden Tag Medikamente. Ansonsten verlief seine Entwicklung aber völlig normal und altersentsprechend. Als Ilyes etwa 4 Monate alt war, bemerkte Nadine Zuckungen. Die Ursache: BNS – Anfälle ("Blitz-Nick-Salaam-Anfälle). Ein weiteres Symptom der TS. Es folgte ein weiterer langer Krankenhaus-Aufenthalt, bis Ilyes medikamentös gut eingestellt war. In dieser Zeit entwickelte sich Ilyes zurück. Und diese Zeit hat er bis heute nicht aufgeholt und sein Entwicklungsstand ist vergleichbar mit dem eines 3-jährigen. Desweiteren wurde bei ihm Frühkindlicher Autismus diagnostiziert. Sein Tagesablauf ist ziemlich strukturiert, denn jede Abweichung von seinen Gewohnheiten ist sehr schwer für ihn.
Nadine kann sich glücklich schätzen, dass sie von ihrem Umfeld toll unterstützt wird. Ich finde es aber unglaublich bewundernswert, wie sie das alles als alleinerziehende Mutter meistert. Ich muss an dieser Stelle noch erwähnen, dass Nadine noch zwei weitere Kinder hat. Ilyes großer Bruder ist 11, seine Schwester 9 Jahre alt. Und nicht nur Nadine, sondern auch ihre beiden „großen“ Kinder haben das alles sehr tapfer gemeistert!
Und über Ilyes sagt Nadine, sie ist froh darüber, wie er ist. Denn so wie er ist, ist er toll und genau richtig! Wer weiß, wie bzw. wer er wäre, wenn er nicht all das hätte durchmachen müssen?! Klar wäre sicher einiges einfacher. Und klar wäre der Familie die ein oder andere Sorge oder die ein oder andere Angst erspart geblieben. Aber trotzallem kann Nadine das wirklich so sehen: er ist richtig, so wie er ist. Mit all seinen Eigenarten und Besonderheiten. Und vorallem: er wird so gelassen, wie er ist! Er trägt noch eine Windel – na und?! Er trinkt aus einem Fläschchen – na und?! Er spricht erst seit fünf Monaten – na und?! Die Familie ist geduldig mit ihm und seiner Entwicklung. Und ich denke, das ist ganz wichtig.
Ilyes geht in den Kindergarten. Und zwar in den Arche-Noah-Kindergarten der Caritas in Salzgitter- Gebhardshagen. Nadine sagt, sie hatte nie vor, Ilyes in einen Kindergarten zu geben. Dieses kleine, ganz besonders verletzliche Wesen müsste doch schließlich von seiner Mama ganz besonders beschützt werden. Noch mehr, als andere Kinder in seinem Alter! In einer Frühförderungs-Gruppe wurde ihr jedoch nahe gelegt, sich doch zumindest mal diese Einrichtung anzuschauen. Hier gibt es einen Heilpädagogischen Bereich, Regel- und Integrationsgruppen. Genau das richtige für Ilyes. Hier ist er „angekommen“, fühlt sich wohl. Und jeden Nachmittag wird er vom Kindergarten-Bus nach Hause gebracht.
Wenn Ilyes zuhause angekommen ist, macht er eine kleine Pause auf dem Sofa. Er legt keinen Wert auf materielle Dinge. Er interessiert sich z. B. nur für wenige Spielzeuge. Die, die ihm wichtig sind werden jedoch regelmäßig „bespielt“. Viel mehr Wert legt er aber auf Zuwendung, Aufmerksamkeit und Liebe.
Und er sitzt gerne am Küchenfenster. Beobachtet die Welt, spürt den Wind im Gesicht, wedelt mit seinen Papierfahnen und grüßt seine Nachbarn. Diese kennen den Jungen am Fenster natürlich. So kommt es oft vor, dass er sich von Fenster zu Fenster mit den Nachbarn unterhält. Die Familie macht das alles ganz toll! Sie sind eine ganz „normale“ Familie! Aber sie haben eben schon viel erlebt. Und die Ungewissheit bleibt. Man kann nicht sagen, wie sich Ilyes weiter entwickeln wird. Und auch nicht vorhersagen, wie seine Krankheit weiter verläuft. Er hat Tumore auf der Haut. Und im Kopf. Diese wachsen aber glücklicherweise langsam und werden derzeit „nur“ beobachtet. Alle 3 Monate muss Ilyes zum EEG und Ultraschall der Niere. Einmal jährlich zum MRT, Augenarzt und Kardiologen. Nadines Botschaft an die Welt: Kinder wie Ilyes sind vielleicht entwicklungstechnisch „anders“, als die meisten. Was nicht heißt, dass sie nicht ganz besonders BESONDERS sind. So, wie sie sind!
Und auch ich finde Ilyes toll, so wie er ist. Mit seinen offenen, neugierigen Augen beobachtet er die Welt scheinbar viel sensibler und aufmerksamer als so manch Erwachsener. Und neben der Neugierde erkenne ich auch den kleinen „Schelm“ in seinen Augen. Er ist glücklich! Nadine ist glücklich! Und bestimmt nicht über die TS. Aber mit ihr. Und statt über diese Krankheit zu „jammern“, freut sich Nadine über das, was sie hat.
Als ich gehe steht Ilyes am Fenster. Sein Lieblingsplatz. Und er winkt mir. Und ruft „Bis bald! Bis bald! Bis bald!“ Danke ihr zwei, für den schönen Nachmittag. Und die Ehrlichkeit und Offenheit. Macht genauso weiter, wie bisher!